Und weil gut Ding, was gemeinhin bekannt ist, Weile haben will, beschäftigten sich die Mandatsträger jetzt seit neun Jahren in Folge ausschließlich mit dem selben Thema. In diesen Tagen war gerade das 972. Gutachten über den Bau einer zweiten Umgehungsstraße (“Trassen- führung Süd-Südwest unter besonderer Berücksichtigung potentieller März-Schneeschmelze in der Rhön und damit verbundener Wasserstandsschwankungen im Bereich Fischbeck/ Kleinenwieden”) vorgestellt worden - was, weil es nur von Fachleuten erarbeitet worden war, selbstverständlich (genauso wie die anderen 971 Expertisen) höchstens als Diskussionsgrundlage für die mentalen Höhenflüge der heimischen Krämer geeignet war.
Das wachsende Bewusssein der eigenen, überragenden geistigen Gewichtigkeit hatte den meisten Verantwortungsträgern bereits tiefe Rasterfurchen à la Kohl in die Stirn gegerbt. Vertikal und horizontal, kreuz und quer, hin und her: Niemand schreckte davor zurück, sich im Kampf um das Wohl des Bürgers zur Not innerlich zerreißen zu lassen.
So manchem Plünnenfritzen qualmte sogar schon mal die Glocke, wenn er vor seinem inneren Auge Landes- in Kreisstraßen umwandelte oder in schlaflosen Nächten mit zweistelligen Millionenbeträgen Brücken sanierte. - Im nimmermüden Dienste für die Allgemeinheit rieb sich so mancher starke Charakter nervlich auf.
Da musste man auch Verständnis haben, wenn die Ehefrau daheim gelegentlich mal eine Tracht Prügel bekam - die Weiber sollen halt nicht rumgackern, wenn wir Männer gerade dabei sind, die Probleme der Welt zu lösen. Außerdem müssen stressgeplagte Volkshelden einfach dann und wann mal die eine oder andere Flasche Schnaps trinken. -
Machen wir doch an dieser Stelle mal einen Schnitt und horchen wir einfach mal in die Podiums-Diskussion über das letzte 60.000-Euro-Gutachten hinein. ...
Kozz-Klabuster (Gemüsehändler, Fraktionssprecher der DDT, fuchtelt mit hochrotem Gesicht herum, bietet einem alternativen Autohasser Paroli): ... mit ‘n Auto wolln se doch nach ‘n Jeschäft hiinfahren, die Kunden, und sonst jar nix ...!
Autohasser (böse, aber cool): Wen interessieren denn die Kunden?
Kozz-Klabuster (beißt auf ein Stück Leder und klötert heftig mit drei Metall-Kugeln in seiner rechten Hand, bellt fast tonlos): Mich zum Beispiel...
Autohasser (lächelt tückisch): Sie interessieren sich einen Dreck für den Kunden! Vom Bürger, für den die Stadt eigentlich in erster Linie da sein sollte, gar nicht zu reden. Sie wollen nur eins: Kohle, Kohle, Kohle - beide Zielgruppen, so gut es geht, zur Ader lassen!
(Kozz-Klabuster keucht und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Der Außenstehende merkt schon jetzt, dass Frau Kozz-Klabuster an diesem Abend vermutlich nichts zu lachen haben wird.
Der Autohasser feixt Kozz-Klabuster frech an.
Der Experte, Verfasser des Gutachtens, versucht zu beschwichtigen - aber jetzt überschlagen sich die Ereignisse. - Ein Nachwuchsgewerbler entert aufgeregt den Saal)
Nachwuchsgewerbler (völlig außer Atem): Leute, habt ihr schon gehört? Die Zentrale der Deutschen Bank in Frankfurt brennt lichterloh, und Autos sind ab sofort verboten. Edzard Reuter sitzt in Berlin in der Zelle von Erich Mielke und Piech und Lopez habe sie nach Stuttgart-Stammheim gebracht...
Gottfred Grabsteiner (Verkehrsexperte der Wählergemeinschaft Tiefenrode, triumphiert): Das ist das endgültige Aus für die Fußgängerzone. Ich habe euch doch schon immer gesagt, dass wir langfristiger planen müssen. Wer weiß denn, ob das Auto nicht in hundert Jahren wiederkommt. Wir müssen für alle Eventualitäten gerüstet sein...
(Ein weißgekleideter Mann kommt herein und führt den nach allen Seiten grüßenden Grabsteiner hinaus. Zwei weitere weiße Männer treten auf.)
Weiße Männer (synchron): Leute, Abendbrot! Kozz-Klabuster (schwer erregt):
Was gibt es denn? Weiße Männer (synchron): Nudeln mit Tomatensauce. Kozz-Klabuster (jubelt): Juhuuuuh!
Autohasser (heult plötzlich auf): Buhuuuuh! Ich wollte aber doch Pizza!
(Die weißen Männer tragen ungerührt auf, und die Mandatsträger fallen mit Heißhunger über die Nudeln her. Nur der Autohasser verweigert mit sichtbarer Würde. Und der Autor des Gutachtens ist inniglich damit beschäftigt, die Fetzen einer Serviette, die er gerade zerrissen hat, mit penibler Akribie übereinander zu stapeln.)
Chef der weißen Männer (verschafft sich mit erhobenem Zeigefinger Aufmerksamkeit): Leute, wenn ihr schön brav seid, gleich eure Tabletten nehmt und in eure Zellen zurückgeht, dann kriegt ihr zur Belohnung morgen wieder ein neues Gutachten. - - -
Da hatte Frau Kozz-Klabuster am Ende
wohl doch noch mal Glück gehabt!
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Rezension von ChatGPT
Die satirische Kurzgeschichte „Verkehrs-Experten“ bietet eine scharfsinnige und humorvolle Kritik an bürokratischen Prozessen und den oft absurden Wendungen politischer Diskussionen. Die Handlung spielt in einer fiktiven Stadt, wo die Entscheidungsträger seit Jahren vergeblich über die Verkehrsplanung debattieren. Dabei wird die Geschichte mit einer Mischung aus Komik, Ironie und Gesellschaftskritik erzählt.
Inhalt und Themen
Die Erzählung beginnt mit der Einführung der neuen Regelung, die den Mitgliedern des Gewerbevereins Stimmrecht im Stadtrat gewährt. Dies wird allgemein begrüßt, insbesondere wegen ihrer vermeintlichen Expertise in Fragen wie der Einrichtung einer Fußgängerzone. Doch bald zeigt sich die Ironie der Situation: Trotz der Beteiligung der Geschäftsleute bleibt die Entscheidungsfindung ineffektiv und chaotisch.
Seit neun Jahren beschäftigen sich die Mandatsträger ausschließlich mit dem Thema Verkehr und Fußgängerzonen, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Die endlosen Gutachten, darunter das 972., dienen lediglich als Diskussionsgrundlage, ohne jemals praktische Auswirkungen zu haben. Diese stagnierenden Debatten spiegeln die Trägheit und Ineffizienz vieler politischer Prozesse wider.
Die Figuren sind überzeichnet und symbolisieren verschiedene Interessen und Konflikte. Kozz-Klabuster, ein Gemüsehändler und Fraktionssprecher der DDT, repräsentiert die pragmatische, aber egoistische Haltung der Geschäftsleute. Im Gegensatz dazu steht der Autohasser, der die Interessen der Bürger verteidigt, aber ebenfalls in Extreme verfällt. Die Auseinandersetzungen zwischen diesen Charakteren sind hitzig und oft absurd, was die Lächerlichkeit und Sinnlosigkeit vieler politischer Debatten verdeutlicht.
Stil und Sprache
Der Autor nutzt eine lebhafte und überspitzte Sprache, um die Charaktere und ihre Konflikte darzustellen. Die Dialoge sind pointiert und voller bissiger Kommentare, was den satirischen Ton der Erzählung unterstreicht. Die Beschreibung der Mandatsträger, die sich mit ihrer eigenen Bedeutung und den endlosen Diskussionen verzehren, ist sowohl komisch als auch kritisch.
Ein Höhepunkt der Geschichte ist die absurde Wendung, als ein Nachwuchsgewerbler berichtet, dass die Zentrale der Deutschen Bank in Frankfurt brennt und Autos verboten wurden. Diese Nachricht führt zu einer weiteren Eskalation der ohnehin schon chaotischen Diskussionen und zeigt die Unberechenbarkeit und Irrationalität politischer Prozesse.
Gesellschaftskritik
Die Erzählung kritisiert auf humorvolle Weise die Trägheit und Ineffizienz politischer Gremien. Die unendlichen Diskussionen und Gutachten, die keine konkreten Ergebnisse bringen, spiegeln die oft frustrierenden Erfahrungen von Bürgern mit der Bürokratie wider. Durch die Überzeichnung der Charaktere und Situationen wird die Absurdität und Sinnlosigkeit vieler politischer Debatten deutlich.
Das Ende der Geschichte, das offenbart, dass die gesamte Handlung in einer Art Anstalt stattfindet, verstärkt die satirische Kritik. Die Insassen, die für Politiker gehalten werden, erhalten ein neues Gutachten als Belohnung für ihr gutes Benehmen, was die Sinnlosigkeit und Endlosigkeit der bürokratischen Prozesse noch einmal unterstreicht.
Fazit
„Verkehrs-Experten“ ist eine brillante Satire, die die Absurdität und Ineffizienz politischer Prozesse humorvoll und treffend darstellt. Mit lebhaften Charakteren, pointierten Dialogen und einer gehörigen Portion Ironie gelingt es dem Autor, die Leser sowohl zu unterhalten als auch zum Nachdenken anzuregen. Die Geschichte ist eine gelungene Kritik an den oft frustrierenden Erfahrungen mit der Bürokratie und den endlosen politischen Debatten, die keine konkreten Ergebnisse bringen



Nach der Änderung der “niedersächsischen Gemeindeordnung” waren inzwischen auch die Mitglieder des Gewerbevereins im Stadtrat stimmberechtigt - was allenthalben begrüßt wurde.
Vor allem wegen der Meinungsfindung in Sachen Fußgängerzone. Da waren die Geschäftsleute zweifellos kompetenter als jeder Experte!