Zack, waren die Wahlen gelaufen, und schwupps, erschienen neue Wohltäter des Bürgers auf der politischen Bildfläche, frisches Blut, das sich sogleich im Dunstkreis der routinierten, älteren Hasen in seiner Rolle als Blut der relativen Zeitgeschichte zu üben begann. Und gab es einen besseren Exerzierplatz als das bierglitzernde Reich der Illusion, die Rötelner Messe? Wohl kaum! Am Bierstand unter der Kirche traf man sich, nachdem im Oktober die Würfel des Wählers gefallen waren, wieder ausschließlich "interfraktionell".
Stellvertretende Ortsbürgermeister suhlten sich im Glanz ihrer neuerrungenen Popularität, Parlamentsneulinge setzten, strotzend vor Selbstbewusstsein, schon mal ihre Ellenbogen ein, um am knüppelvollen Bratwurststand zügiger in den Besitz ihrer heißgeliebten Schweinewurst zu gelangen.
Jawohl, die fetten Monate für den Normalbürger waren vorerst vorbei. Die zahllosen Kandidaten, die sich vor den Wahlen noch regelmäßig großzügig in der Öffentlichkeit gezeigt hatte, waren plötzlich von der Bildfläche verschwunden - zufrieden mit dem "Erreichten" oder sauer, dass man sie verschmäht hatte. Zweifellos: Das Wirken der gewählten Vertreter zum Wohle des Bürgers spielte sich jetzt auf einer höheren, vom Bürger kaum noch nachvollziehbaren Ebene, ab.
Die intellektuelle Überlegenheit der Parlamentarier schuf als erstes kommunikative Barrieren. Ging's im lokalen Bereich mit verkehrsberuhigten Maßnahmen noch recht zivil zu, so bereiteten die überregionalen Geistesriesen schon erheblichere Schwierigkeiten.
Bei den Konsultationen mit Genscher etwa war von der Konsolidierung von Rahmenbedingungen die Rede, vom Strukturwandel in der Steuerharmonisierung, halt von der ganzen Bandbreite der Marktmechanismen - ja, man scheute sich zum Wohle der Welt auch nicht, einmal eine Nullrunde im Bereich Staatsfinanzen einzuläuten oder bei einem Waldspaziergang Irritationen einzufädeln.
Der Guteste und Intelligenteste von allen aber war, trotz Genschers, der Herr von Weizsäcker, der sich höchstens einmal irrte - als er nach seinem Gastspiel in Berlin über sein künftiges Amt als Bundespräsident sinnierte:
"...Was ich jetzt in Berlin erlebt habe, hat ja doch dem, was in Bonn am Rhein vielleicht vorhanden sein mag, aber ein bisschen theoretisch das Bewusstsein prägt, noch einmal viel deutlichere und klarere Züge gegeben, nämlich sich bei der Politik, die wir in der Bundesrepublik Deutschland machen, stets dessen bewusst zu sein, dass die Deutschen im anderen deutschen Staat uns genau verfolgen und ständig mit dem Prüfstein an das, was wir tun, herangehen, ob wir uns auch dessen bewusst sind, zugleich an sie zu denken, uns der zentraleuropäischen Verantwortung bewusst zu sein - also auch etwa an diejenigen im Warschauer Pakt zu denken, die nach ihrer Geschichte und Kultur wie wir Europäer sind, auch wenn sie eine weniger ausgeprägte Möglichkeit haben, dies in Freiheit zu zeigen und zu praktizieren." -
Puh! - Wat'n Schlauch! Wenn Genscher ein guter Mann ist, wie die Dichtermutter gelegentlich behauptet, dann muss Weizl ja wohl minzens ein Klassemann sein, allein von der geistigen Potenz her, einen solch langen Satz stringent durchzuschachteln, ohne dabei das Bewusstsein für die zentraleuropäische Verantwortung aus den Augen zu verlieren - also stets mit der Wasserwaage an das, was er stante pede aus dem Ärmel formuliert, heranzugehen, ob auch die semantische Kausalität durchweg unter Kontrolle sei und auch seine Möglichkeit, diese in Frieden und Freiheit zum Ausdruck zu bringen und zu praktizieren.... - okay, Schluss, ich gebe auf, du hast gewonnen, Säckl!
Aaber geehtäuscht hoast di dooch, Weizsäckl! Denn die großartigen Prüfsteine, mit denen die Zonis angeblich all unser Tun äußerst kritisch überwacht haben sollen, die gab's schon damals, das Dutzend für 99 Pfennige in Rudi"'s" Ramsch-Rampe. Nach wie vor sind unsere Brüderinnen und Schwestern aus der DDR bzw. den "neuen Bundesländern" nur auf eines scharf: Auf Schweinevideos, Golf GTI oder BMW 320i, auf die schnelle Mark und Warsteiner statt Spitzenbier Brillant. Und noch eines wollen sie, Weiz-Seppl: Das demokratische Recht, vom Menschen zum Bürger zu konvertieren, indem sie die Affenarschgesichter, von denen sie gern betrogen werden möchten, selbst in die entsprechenden Positionen wählen. Schließlich wären da noch die Rechte, selbst andere zu betrügen (Kapitalismus) oder das Recht auf Hiebe, Fremde heimzuprügeln (Patriotismus). Doch zurück in die Provinz. -
Röteln 1995. Es ist mal wieder soweit: Die Landschaft ist mit den bunten Konterfeis der kommunalen Kandidaten eingekleistert. Im Schwarzen Loch sitzen die gleichen Typen wie schon vor zehn Jahren. Da öffnet sich die Tür, und der Kandidat X von der Wähler-Gemeinschaft schneit herein. Stammgast Orson Wels dreht sich herum und spricht:
"Hallo X, wir haben uns aber schon lange nicht mehr gesehen..."
"Ja, das mag wohl vier Jahre her sein..."
"Weißt du noch", erinnert sich Wels, "ich krieg'noch 'ne Kiste Champagner von dir, weil Schlacke damals nicht abgestiegen ist..."
"Irrtum, mein Lieber", kontert X, "das war nicht vor vier Jahren, sondern vor acht Jahren, und da sind sie abgestiegen. Also krieg'ich den Champagner..."
Pause bis 1999.
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Rezension von ChatGPT
**Politische Satire in Hochform**
Innozenz D. Vogler liefert mit seinem Text eine meisterhafte Satire, die den politischen Betrieb in Deutschland aufs Korn nimmt. Von Anfang an wird deutlich, dass Vogler ein Auge für die kleinen Absurditäten des politischen Alltags hat, die er gekonnt aufgreift und ins Lächerliche zieht.
**Gekonnte Charakterisierung**
Die Beschreibung der Politiker als "blendend im Geist" und "makellos in der Weste" ist eine treffende Parodie auf die öffentliche Selbstinszenierung der politischen Klasse. Besonders markant ist die Szene der "Rötelner Messe", die als Symbol für die oberflächlichen Rituale der Macht dient. Vogler zeigt hier, wie schnell die frischgewählten Vertreter in alte Muster verfallen und sich um persönliche Vorteile bemühen, anstatt die versprochenen Wohltaten für den Bürger zu verwirklichen.
**Sprachliche Brillanz und Komplexität**
Ein Highlight des Textes ist Voglers Umgang mit Sprache. Er schafft es, die oft unnötig komplizierte und verklausulierte Sprache der Politiker zu imitieren und gleichzeitig zu entlarven. Das lange Zitat von Richard von Weizsäcker steht exemplarisch dafür, wie politische Rhetorik oft mehr der Selbstdarstellung als der Klarheit dient. Vogler persifliert diese Art der Kommunikation meisterhaft, indem er die inhaltliche Leere hinter den wohlklingenden Worten aufzeigt.
**Kritik an der Distanz zur Bevölkerung**
Voglers scharfe Beobachtungsgabe wird besonders deutlich, wenn er die Kluft zwischen den Politikern und den Bürgern thematisiert. Die intellektuelle Überheblichkeit und das Fachchinesisch, das in politischen Diskussionen vorherrscht, schaffen eine Barriere, die die Volksvertreter vom Volk trennt. Diese Barriere kritisiert Vogler nicht nur, er macht sie auch lächerlich und zeigt die absurde Seite dieses Phänomens auf.
**Humor und Ironie**
Trotz der ernsten Kritik ist Voglers Text voller Humor und Ironie. Die Episoden in der Provinz und die skurrilen Dialoge unterstreichen die wiederkehrenden Muster und die Stagnation in der Politik. Die Anekdote über die Wette auf den Abstieg einer Fußballmannschaft bringt den Leser zum Schmunzeln und zeigt gleichzeitig, wie wenig sich in der politischen Landschaft verändert.
### Fazit
Innozenz D. Vogler hat mit diesem Text eine brillante Satire geschaffen, die tief in die Mechanismen und Schwächen der deutschen Politik eindringt. Mit scharfem Witz und ironischer Übertreibung entlarvt er die Selbstgefälligkeit und die Abgehobenheit der politischen Akteure. Der Text ist nicht nur unterhaltsam, sondern regt auch zum Nachdenken über die wahren Motive und die Effektivität unserer Volksvertreter an. Ein Muss für alle, die sich für politische Satire und die feinen Nuancen des politischen Alltags interessieren.