Mitternacht. Mit einem wahnwitziges Geknalle beginnt das neue Jahr. In den Straßen der Stadt hängen schwefelige Wolken. Die Erde ist mit einer durchgehenden Schicht von zerfetztem Raketenkehricht übersät. Der Dunst draußen schwärt fast ebenso dicht wie im Gasthaus "Zum Schwarzen Loch", wo die Nikotinleichen fast buchstäblich aus dem letzten Loch röcheln. Die kleinen physischen Handicaps (apokalyptischer Lärm und atemberaubende Sauerstoffknappheit) tun der allgemeinen Euphorie aber keinen Abbruch. Die Glocken der nur wenige Meter entfernten Kirche klötern ohrenbetäubend. Alle Gäste haben Konfetti im Haar, sich in Papierschlangen eingwickelt und sind reichlich mit Pappnasen, Strohhüten u. dgl. mehr ausgerüstet.
Der Sekt fließt in Strömen.
Am Jungsenioren-Stammtisch gibt's außerdem regelmäßig Schnäpse dazu. Im Rund befinden sich: Verlagsinhaber Mengele, Hilfs-Dichter Vögeli, der geheime Landjägermeister R., ein arbeitsloser Jugendlicher, ein Schwerintellektueller Fremdling sowie "Stuntman", der Chef der Rötelner Friedhofspolizei. An der Theke, praktisch direkt daneben, hocken Edgar Wallach und "Hellmuth".
Das Neujahrsgeläut' aus dem Radio wirkt wie ein besonders schäbiges Echo zu dem Original von der Marktkirche. Nach den allseitigen guten Wünschen dröhnen die ersten Nachrichten des neuen Jahres aus den Lautsprechern. Die Kriegsgefahr im "Golf" scheint gebannt - Genscher!. Der Bundesaußenminister bastele an einem erfolgversprechenden Konzept - dessen Konturen allerdings noch etwas verschwommen seien.
Vögeli (fast fanatisch): "Für die Rettung der Welt muss dieser politische Heiland endlich den Friedensnobelpreis bekommen - und heilig gesprochen werden. Der Papst kann doch solch einem Klassemann auf die Dauer nicht den 'Helo' verweigern.
Auftritt Fürst Buddel
Buddel (mit dreigestrichenem C): "Hello"! Trinken die Herren 'n Gedeck mit?"
Man trinkt. Der Arbeitslose gerät in euphorische Stimmung, weil er schon bei der vierten Runde Schnaps mit von der Partie ist.
Arbeitsloser (mit devoter Dankbarkeit): "Leute, ich hab' 'n Aushilfsjob beim städtischen Friedhof in Aussicht. Ob's klappt, weiß ich aber noch nicht. Sind nämlich sechs Bewerber, davon ham drei Abi."
Landjägermeister (zeigt auf den Stuntman): Dann gib deinem Chef mal lieber bald einen aus."
Der Arbeitslose wird rot und bestellt ein Bier.
Chef der Friedhofspolizei (hat die Lippen zusammengepresst und das Kinn schräg an den Hals gewinkelt, ganz stier): "Musisi alo blp."
Buddel (in höchsten Tönen): "Ich nehm' beides!"
Dr. Mengele beginnt, mit Weibergeschichten und allerlei phantastischen Schweinigeleien zu prahlen.
Intellektueller (zu Dr Mengele): "Ich kann ihren Affektstau verstehen, mein Herr. Die Damen machen es uns heutzutage auch wirklich nicht leicht..."
Vögeli (mischt sich ein) "...Genau! Das ist ja fast schon schizophren: Ausgerechnet die Damen, die im Sommer mit durchsichtigen Blusen, knallengen Miniröcken und hochhackigen Schuhen - geschminkt wie altägyptische Tempelhuren - mit dem Hinterteil wackelnd durch die Fußgängerzonen tippeln - genau die sind die ersten, die herumkrakeelen, wenn sie von zahllosen glupschenden Männeraugen verfolgt werden oder wenn sich gar eine freche Hand anschickt, zuzugrapschen. - Wozu der ganze Aufwand, wenn man nicht wenigstens ... ein wenig bewundert werden möchte?"
Dr. Mengele (nestelt nervös mit den Händen): "Hör' auf, du Schwein!"
Am Tresen entfachen Edgar Wallach und "Helllmuth" einen plötzlichen Tumult, der das Thema kurzfristig verschluckt.
Intellektueller (zu Vögeli): "Ich hab gehört, sie sind Dichter. Darf man fragen, woran sie zur Zeit arbeiten?"
Vögeli (zuckt etwas unsicher mit den Schultern): "Tja, ich denke, ich schreibe eine Art dramatischen Roman - oder vielleicht eher ein romantisches ... ein romantisches Drama ... eine Art manische, kontextfreie Tragikomödie."
Intellektueller (leicht verheddert): "Ah, ja! Darf man auf eine kleine Kostprobe hoffen?"
Vögeli (mit ausladender Armbewegung): "Schaun's halt einfach, was in diesem Schuppen hier so geschieht, was die Typen so zusammenlabern."
Intellektueller (schaut herum): "Oh, so! - Und wie wär's mit einer poetischen Fingerübung?"
Vögeli (nach kurzer Besinnung plötzlich in nasalem Tonfall): "Wunterpar kern. Das hab' isch mir schon immer so kewünscht, vor einem so rescht netten Publikum eine meiner Pallaten vorzutraken. (fängt langsam an, zu rezitieren).
"Wenn isch einen Affen schiepe,
Weil isch Sennsucht hap' nach Liepe,
Dann mach' Näkel isch mit Köpfe
Und denk an Weiper mit plonte Zöpfe.
In der Kneipe tann peim Schnapse
Stell' isch mir vor 'n Frau mit Strapse.
In meinem Petürfnis nach Harmonie
Hab' isch halt reischlisch Phantasie!
Fragt dann der Oper misch: 'Wat willze',
Bestell' isch Schweinepauch mit Pilze.
Das ist Kefühl, Kultur und Stil,
Nisch jedä hat tavon wie isch sovill!
Mein Opel Katett is 'ne Kranate,
Pei uns pin isch tamit der Pate.
Ter hat sonn Power untä dä Haupe -
Fast wie isch: Da fällze von 'n Klaupe."
Der Schwerintellektuelle hat einen entsetzlich roten Kopf bekommen, bezahlt und verlässt verärgert das Lokal - grußlos. Herr Vögeli bestellt sich, weil die Kehle vom Deklamieren völlig ausgetrocknet ist, einen fünffachen Obstler.
"Auf Wietersänn rescht pald!"
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Rezension von ChatGPT
Der Text schildert in eindringlicher, teils grotesker Weise die Szenen einer Neujahrsfeier im Gasthaus "Zum Schwarzen Loch". Im Zentrum stehen menschliche Schwächen, gesellschaftliche Abgründe und die Kontraste zwischen Schein und Sein.
### Hauptthemen
1. **Das menschliche Bedürfnis nach Gemeinschaft und Rausch:**
- Mitternacht läutet das neue Jahr ein, begleitet von einem wahnwitzigen Feuerwerk. Die Gäste des Gasthauses feiern ausgelassen, ungeachtet der widrigen Umstände wie schwefelige Luft und überfüllte Räume. Dies zeigt das tiefe menschliche Bedürfnis nach Gemeinschaft und dem temporären Entkommen der Alltagsrealität.
2. **Gesellschaftliche Hierarchien und Charaktere:**
- Die Runde der Feiernden ist vielfältig: Verlagsinhaber, Dichter, Landjägermeister, Arbeitslose und Intellektuelle mischen sich mit normalen Bürgern. Diese Vielfalt zeigt die unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten und die Spannungen, die unter der Oberfläche brodeln.
3. **Diskussionen über Politik und Frieden:**
- Vögeli fordert fanatisch den Friedensnobelpreis für den Bundesaußenminister, was die Absurdität und die Idealismus der politischen Diskussionen in betrunkenem Zustand zeigt.
4. **Geschlechterrollen und Sexualmoral:**
- Vögelis Tirade über Frauen zeigt eine veraltete und sexistische Sichtweise, die von Dr. Mengele als zu derb abgetan wird. Dieser Teil reflektiert die Spannungen und Missverständnisse zwischen den Geschlechtern und die oft heuchlerischen Moralvorstellungen.
5. **Die Rolle der Kunst und Poesie:**
- Der Intellektuelle zeigt Interesse an Vögelis Arbeit, was zu einer humorvollen und absurden Rezitation führt. Dies spiegelt die oft missverstandene und belächelte Rolle der Kunst in der Gesellschaft wider.
### Stil und Techniken
1. **Realistische und groteske Darstellung:**
- Der Text wechselt zwischen realistischen Beschreibungen und grotesken Übertreibungen. Dies schafft ein lebendiges Bild der Neujahrsfeier und ihrer Teilnehmer.
2. **Ironie und Satire:**
- Ironische und satirische Elemente ziehen sich durch den gesamten Text. Sie dienen dazu, die menschlichen Schwächen und gesellschaftlichen Missstände aufzuzeigen und zu kritisieren.
3. **Dialoge und Monologe:**
- Die Dialoge und Monologe der Charaktere sind zentral. Sie geben Einblick in die Denkweise und Gefühlswelt der verschiedenen Figuren und tragen zur Entwicklung der Handlung bei.
4. **Kontraste und Paradoxe:**
- Der Text spielt mit Kontrasten, wie der euphorischen Feier und der düsteren Realität des Gasthauses. Die Paradoxie der menschlichen Natur wird deutlich, insbesondere in den widersprüchlichen Aussagen und Handlungen der Charaktere.
### Fazit
Der Text "Neujahrsnacht im Gasthaus 'Zum Schwarzen Loch'" ist eine eindrucksvolle, satirische Momentaufnahme einer Neujahrsfeier, die die Tiefen und Abgründe der menschlichen Natur aufzeigt. Er beleuchtet die Facetten menschlicher Begierden, gesellschaftlicher Zwänge und die Rolle von Kunst und Poesie in einer oft absurden und grotesken Welt. Die ironische und groteske Darstellung macht den Text zu einer sowohl unterhaltsamen als auch nachdenklich stimmenden Lektüre.
Um begreifen zu können, muss man Herz haben
(Der Idiot)
Der, so sich zum Tier macht,
befreit sich von dem Leid, ein Mensch zu sein
(Hunter S. Thompson)